Fotos: Peter Hölterhoff

Die Cochlea-Implantat-Selbsthilfegruppe (SHG) Südwestfalen hat am 02. März 2024 ihr 15-jähriges Bestehen mit einem Festakt in der Weißen Villa in Kreuztal gefeiert. Rund 130 Gäste, Besucher, Interessierte und Betroffene konnte SHG-Leiterin Ricarda Wagner (Foto rechts) begrüßen. Die Teilnehmenden erwarteten zahlreiche interessante Vorträge, denen alle dank einer induktiven Höranlage, Bügelkopfhörern sowie Schriftdolmetschern barrierefrei folgen konnten. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Gerd-Donald Rämsch. Die folgende Berichterstattung vom Festakt übernahmen Klaus und Bernadette Büdenbender:

Professor Dr. med. Thomas Lenarz, Medizinische Hochschule Hannover, referierte über die Anfänge der Cochlea-Implantate (CI) und wie das Hören in Zukunft ermöglicht werden könnte. Kindern möchte man mit einem CI die Welt der Hörenden eröffnen, während bei Erwachsenen wieder die Möglichkeit gegeben werden kann, in der Welt teilzunehmen. Während in den 1980er-Jahren mit einem CI nur Geräusche hörbar waren, ist die Entwicklung bis heute so weit, dass für die meisten Implantierten wieder Sprachverstehen möglich ist. Hören mit Implantat kann schnell erlernt werden. Der Hörerfolg ist jedoch abhängig von der Dauer der Ertaubung. Voraussetzung für ein CI ist immer, dass das Innenohr richtig angelegt ist. Als Indikation gelten u. a. einseitige Taubheit, Hochtaubheit oder hochgradige Schwerhörigkeit bei Kindern und Erwachsenen. Die OP-Techniken sind mittlerweile standardisiert; die Erhaltung des Restgehörs hilft, den Erfolg mit einem Implantat zu steigern. In Zukunft möchte man u. a. die Hörergebnisse noch weiter verbessern, die Hörerhaltung durch biologische Therapien ermöglichen, voll implantierbare Systeme nutzen und das Hören mit CI so natürlich wie möglich machen.

Professor Dr. med. Jonas Park, St. Josef-Hospital Hagen, referierte über aktuelle Möglichkeiten bei implantierbaren Hörsystemen, z. B. Vibrant Soundbridge und Knochenleitungshörsysteme, die Betroffenen mit entsprechender Indikation wieder ein natürliches Hören ermöglichen sollen. Zur Verdeutlichung zeigte Park dazu auch einige kleine Videosequenzen. Darüber hinaus stellte er den Einfluss der Selbsthilfegruppen in den Vordergrund. Diese vermitteln hörgeschädigten Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl und sind emotional näher an den Betroffenen als ärztliches Personal. Außerdem bieten SHG den Austausch praktischer Informationen. Die soziale Unterstützung, der Wissensaustausch, die psychosozialen Vorteile und das Empowerment bieten den Betroffenen zudem Hilfe zur Selbsthilfe.

Dr. med. Elmar Spyra, Median-Klinik am Burggraben Bad Salzuflen, referierte zum Thema „Dabei sein ist nicht immer alles ...“. In seinem Vortrag betrachtete er die Kommunikation bei Tieren (Laute, Infraschall, individuelle Laute) und Pflanzen (z.B. können Tomaten „klicken“, wenn es ihnen schlechter geht) sowie die Welt, in der wir Menschen hören. Diese akustische Welt verändert sich, wenn sich das Hörvermögen ändert. Der berichtete über den Hörsinn, welcher Menschen u.a. Freude macht und Sicherheit gibt, und die Folgen von Schwerhörigkeit. Fehlerhaftes Verstehen kann zu Fehlern im Handeln führen sowie Zweifeln an anderen Menschen und sich selbst; es entstehen somit Konflikte, die zu einem sozialen Rückzug und Stimmungsschwankungen führen können. Auch die Konzentration und das körperliche Wohlbefinden können sich bei Schwerhörigkeit verschlechtern. Neben den sozialen, beruflichen, finanziellen und körperlichen Folgen kann durch schlechtes Hören eine ausgeprägte körperliche und psycho-emotionale Erschöpfung entstehen und auch eine Demenz begünstigt werden. Daher ist für die Betroffenen eine therapeutische Behandlung von großer Bedeutung. Dazu gehören z. B. eine fachärztliche Untersuchung und Diagnostik, die Optimierung des Hörvermögens, der Austausch mit Betroffenen, Kommunikationstraining und Audiotherapie, das Kennenlernen von technischen Hilfsmitteln, psychotherapeutische Beratung, die Vermittlung in eine Selbsthilfegruppe sowie Sozialberatung.

In der Pause stand ein kleines Catering für die Besucher bereit. Die Aussteller – Hören & Verstehen Brandes, Humantechnik, MED-EL, Cochlear, Ton & Technik Matthias Scheffe, Advanced Bionics, Phonak und der Integrationsfachdienst Siegen-Olpe – konnten zu beratenden und informativen Ge-sprächen aufgesucht werden.

Der Audiotherapeut Peter Dieler, Median Klinik Bad Salzuflen, referierte nach der Pause über die Möglichkeiten, wie man mit schwierigen Hörsituationen umgehen kann. Sein Motto ist, dass man sich nicht schlecht fühlen muss, wenn mal etwas nicht klappt. Er machte den Betroffenen Mut im Umgang mit ihrer Schwerhörigkeit. Er sagte: „Wenn ich will, dass der Andere auf mich eingeht, muss ich selbst erklären, was ich brauche! Ich muss meinem Helfer beim Helfen helfen! Unwissende muss ich schlau machen!“

Marion Hölterhoff, Vorstand des Cochlea-Implantat-Verbandes NRW e. V., berichtete über die Selbsthilfe, die in der Hörimplantat-Versorgung ein wichtiger Bestandteil ist. „Selbsthilfegruppen haben sich im Laufe der Geschichte immer dort gebildet, wo eine Gruppe von Menschen in gemeinsamer Not war und ihre Situation erkannte“. Daher sei es für die Hörgeschädigten wichtig, das CI so „bekannt zu machen wie einen Herzschrittmacher“. Die Bedeutung der Selbsthilfe ist für Betroffene insbesondere vor und nach einer OP besonders hoch; Hörgeschädigte befinden sich als „Gleiche unter Gleichen“ in der Gruppe. Außerdem bieten die Selbsthilfegruppen eine qualifizierte Beratung, die unabhängig ist und ohne Vorurteile, Panikmache und Fehlinformationen. Auch eine Vernetzung mit kompetenten Partnern hilft dabei. Die Digitalisierung hat ebenfalls in der Selbsthilfe Einzug gehalten: z. B. Hör-Wiki, www.hoerenplus.tech, DOA NRW (Wir sind zusammen ein WIR). Die Selbsthilfe ist in der Politik angekommen und wird im Gesundheitswesen immer wichtiger. Daher lautet die Devise in der SHG: Stärkt das Wissen und die Bedürfnisse sowie die Rechte und Möglichkeiten für die Hörgeschädigten. „Nichts über uns, ohne uns“!

Zum Abschluss bedankte sich Ricarda Wagner bei den Sponsoren, Referenten, Ausstellern, Schriftdolmetschern, Förderern, Unterstützern und Freunden sowie Besuchern. Alle haben zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen.

Klaus und Bernadette Büdenbender

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