Die Technologie und Leistungsfähigkeit von Hörsystemen haben sich innerhalb von wenigen Jahrzehnten extrem gewandelt und verbessert. Aktuelle Modelle leisten in den meisten Hörsituationen Unglaubliches. Dennoch stoßen die Geräte weiterhin an Grenzen – besonders bei hochgradigen Hörbeeinträchtigungen. So wird das Hören für Betroffene noch allzu oft zum Ratespiel. Welche Auswirkungen eine starke Hörbeeinträchtigung im Alltag hat, wie die Versorgung bestmöglich optimiert werden kann, welche weiteren technischen Möglichkeiten es gibt und vieles weitere haben wir in unserem Themenschwerpunkt in „Spektrum Hören“ 5/2022, die am 08.09.2022 erscheint, für Sie zusammengestellt. Darin beleuchten wir zudem, wie Feuerwehrleute Gefahrensituationen mit Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung üben, um im Ernstfall besser auf diese eingehen zu können. Hier besteht, so viel sei bereits verraten, noch eine Menge Optimierungspotenzial.
Während eine hochgradige Schwerhörigkeit selten unentdeckt bleibt, wird ein meist altersbedingt langsam nachlassendes Hörvermögen oft nicht bewusst wahrgenommen. Dabei ist ein gutes Hörvermögen nicht nur für die individuelle Lebensqualität und ein erfolgreiches Berufsleben unabdingbar. Denn Höreinschränkungen können mit verschiedenen gesundheitlichen Risiken einhergehen. HNO- und Selbsthilfeverbände plädieren deshalb zur Früherkennung zum Hörtest ab 50. Mehr dazu können Sie ebenfalls in Ausgabe 5/2022 von „Spektrum Hören“ nachlesen.
Bestellen Sie jetzt „Spektrum Hören“ als Printausgabe im Abo oder nutzen Sie die Digitalversion, erhältlich in der „Spektrum Hören“-App oder als Web-App. Hier finden Sie die App für Android und iOS sowie hier die Web-App für das Lesen am Computer. AF
Zur Einstimmung auf das Thema hier eine kleine heitere Geschichte:
Onkel Hahnemann: Ein Schwerhöriger erfreut Kinder
In der ersten Hälfte der 1900er-Jahre war der fiktive Onkel Hahnemann unter Kindern bekannt als der typische Schwerhörige, der Missverständnisse zuhauf erlebt, ohne es selbst zu bemerken. Geschichten über ihn im Dialog mit zunehmend verzweifelten gut Hörenden wurden ab 1901 in „Auerbachs Kinder-Kalender“ veröffentlicht. In „Das Buch von Mätzchen Mohr und Onkel Hahnemann“ sind die Geschichten wieder abgedruckt worden. Die Rechtschreibung der im Folgenden erzählten Geschichte entspricht der Vorlage; die im Original durch Sperrung hervorgehobenen missverstandenen Worte sind hier durch kursive Schrift gekennzeichnet:
Fabrikbesitzer Gruse begegnet nach längerer Zeit mal wieder Onkel Hahnemann in den Anlagen der Stadt, wo sich beide sonst täglich zu treffen pflegen.
Gruse: Tag, Herr Hahnemann, lange nicht gesehen! Sie haben wohl auch irgendwo auswärts in der Sommerfrische gesessen?
Hahnemann: Hummerfische gegessen? Ach du lieber Gott, Herr Gruse, das is für unsereinen zu teuer heutzutage.
Gruse: Das meine ich ja auch gar nicht, Herr Hahnemann, ich frage nur (lauter): waren Sie verreist in die Berge oder an die See?
Hahnemann: Weiße Störche ham Se gesehn? Nu gucke da, da kann mer wohl balde gratulieren! hähä!
Gruse (ärgerlich, noch lauter): Wer spricht denn von Störchen! Ich meine, waren Sie fort in den Ferien?
Hahnemann: Fortfahren mit Klärchen? Aber Herr Gruse, die ist doch schon tot seit fünf Jahren!
Gruse (verzweifelt): Herr Gott, ich kann doch nicht noch toller brüllen!
Hahnemann: Koller-Pillen? Se ham sich wohl den Magen verdorben, Herr Gruse! Sehen Se, das kommt vom Hummeressen! Da sollten Se mal ä kleinen Brießnitz-Umschlag machen.
Gruse (wütend schreiend): Und Sie sollten schleunigst zum Ohrenarzt gehen! Sie sind ja schon mehr als stocktaub geworden!
Hahnemann: Sehr staubig geworden! Da ham Se nu wirklich recht, Herr Gruse! Rägen, Rägen! Den kennen mer gebrauchen!
Gruse (außer sich, davonstürzend): Nun habe ich aber genug! Da kann man ja verrückt bei werden!
Hahnemann: Das tun Se man, Herr Gruse, und dann – den Brießnitz nich vergessen! Der hilft immer!
Anmerkungen:
■ Als Selbstbetroffener kann man erkennen: Die Missverständnisse erklären sich dadurch, dass Onkel Hahnemann sich ganz auf sein spärliches Restgehör verließ – als „Hörhilfe“ die Hand am Ohr. Die Worte, die er missverstand, hatten Ähnlichkeit nur durch die gleichen Vokale. Er nutzte also nicht das Absehen vom Mund. Und dass man als Hörbehinderter an einem missverstandenen Thema festhält, habe sicher nicht nur ich schon selbst erlebt.
■ Die Personen, die sich mit ihm unterhalten, bedienen das Klischee „bei Schwerhörigen muss man lauter sprechen“. Im Text heißt es dann „lauter“, „schreiend“ oder gar „brüllend“, bis sie resigniert die Kommunikationsversuche einstellen.
■ Mit Brießnitz-Umschlag ist das Hausmittel Prießnitz-Wickel gemeint: kalte Umschläge nach dem von Vincenz Prießnitz (1799 bis 1861) entwickelten Prinzip.
Herbert Hirschfelder