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Für kleine Kinder ist ein gutes Hörvermögen sehr wichtig, weil das Gehirn bei der Geburt noch unfertig ist und die Verbindungen zwischen den Nervenzellen noch nicht vollständig ausgebildet sind. Die Ausbildung dieser Strukturen findet vor allem in den ersten sechs Lebensmonaten statt, ist aber nur möglich, wenn das Gehirn von den verschiedenen Organen, darunter den Sinnesorganen wie Ohr, Auge und so weiter, Informationen erhält. Außerdem erfolgt in den ersten Lebensjahren die Sprachanbahnung und lässt sich später nur mühsam nachholen. Die Kleinkinder müssen über das Zuhören das Sprechen erlernen, das heißt anderen Menschen zuhören, aber auch die eigene Sprache hören und kontrollieren. Wenn ein Kind mit einer Hörminderung auf die Welt kommt, diese aber nicht zeitnah behandelt wird, kann es passieren, dass die Entwicklung des Kindes dadurch verzögert wird beziehungsweise dass das Kind nie richtig sprechen lernt. Eine Hörbeeinträchtigung bei Neugeborenen kann genetisch bedingt sein, vom Alkoholkonsum der Mutter oder von Infektionen oder Problemen während der Schwangerschaft ausgelöst werden. Auch während der Geburt kann das Gehör des Kindes aufgrund von Sauerstoffmangel Schaden nehmen. Von 1 000 Neugeborenen haben ein bis drei eine behandlungsbedürftige Hörstörung. Deswegen ist es sinnvoll, kurz nach der Geburt das Gehör des Kindes zu testen.

Daher hat der Gesetzgeber (Gemeinsame Bundesausschuss) mit Beschluss aus dem Jahr 2008 das Neugeborenenhörscreening in die Früherkennungsmaßnahmen bei Kindern in den ersten sechs Lebensjahren mit aufgenommen, so dass alle neugeborenen Kinder ein Anrecht auf diese Untersuchung haben.

Für das Neugeborenen-Hörscreening stehen zwei objektive Messverfahren zur Verfügung. Das eine ist die Automatisierte Hirnstammaudiometrie (AABR). Hierbei werden dem Baby auf Stirn, Nacken und Wangenknochen kleine Elektroden aufgeklebt und die Reaktion des Gehirns auf einen Ton erfasst, der über eine Sonde im Gehörgang präsentiert wird. Es stehen auch Screening-Geräte zur Verfügung, die aus einem Kopfhörer mit integrierten Elektroden bestehen. Ist eine Reaktion messbar, weist dies darauf hin, dass Mittelohr, Hörschnecke, Hörnerv und unterer Teil der Hörbahn funktionsfähig sind.

Bei der zweiten Messmethode kommen die Otoakustischen Messungen zum Einsatz. Auch hierbei wird ein Sondenton dargeboten. Bei einem gesunden Gehör registriert das Ohr den Ton und sendet einen zweiten als Antwort zurück. Ist dieser zweite Ton messbar, weist dies darauf hin, dass Mittelohr und Hörschnecke normal funktionieren.

Zeigen die Ergebnisse dieser Tests, dass das Kind nicht normal hört, bedeutet dies nicht immer, dass es unter einer dauerhaften Hörstörung leidet. Bei manchen Kindern benötigt das Gehör etwas länger, um vollständig auszureifen, so dass diese Kinder später über ein normales Gehör verfügen können. Auch ein Rest Fruchtwasser im Gehörgang kann das Ergebnis negativ verfälschen.

Beide Messverfahren sind schnell und einfach durchzuführen, sind völlig schmerzfrei und geben einen ersten Eindruck über das Hörvermögen des Kindes. Mit ihnen lässt sich eine ein- oder beidohrige Schwerhörigkeit von 30 bis 40 Dezibel im wichtigsten Sprachbereich zwischen 500 und 4 000 Hertz (Hz) gut ausschließen.

Auch wenn die Ergebnisse der Screeningtests unauffällig sind, sollte der Kinderarzt bei den für Kinder vorgesehenen Untersuchungen dennoch auf das Hörvermögen achten. Deswegen sind regelmäßige Kontrollen beim Kinderarzt in jedem Fall ratsam.

Stellt sich durch weitere Tests heraus, dass das Neugeborene unter einem permanenten Hörschaden leidet, sollten die Eltern ein spezielles Pädaudiologisches Zentrum aufsuchen, wo auf Kinder spezialisierte Fachleuten verschiedener Disziplinen zusammenarbeiten. Hier erhalten Eltern und Kinder umfangreiche Hilfe. Zunächst erfolgt eine ausführliche, medizinische und audiologische Diagnostik, die speziell auf Kinder abgestimmt ist, um die Ursache für die Hörstörung zu ermitteln. Anschließend wird zusammen mit den Eltern die weitere Vorgehensweise besprochen. Zusätzlich können sie eine psychologische Beratung erhalten, um den Schock über die Hörstörung ihres Kindes besser verarbeiten zu können. Ist keine Hörverbesserung durch Medikamente oder chirurgische Eingriffe (wie zum Beispiel bei einem Mittelohrerguss) möglich, kommt es zur Hörsystemanpassung. Falls der Hörverlust zu groß ist, um mit Hörsystemen ein ausreichendes Sprachverstehen zu erreichen, der Hörnerv aber intakt ist, sollten ein beziehungsweise zwei Cochlea-Implantate in Betracht gezogen werden. Für die selteneren Fälle, in denen auch der Hörnerv geschädigt ist, stehen Hirnstammimplantate zur Verfügung, bei denen unter Umgehung von Hörschnecke und Hörnerv ein Implantat in einer höheren Ebene der Hörbahn eingesetzt wird. Je früher das Kind behandelt wird, desto größer ist die Chance auf eine normale Entwicklung und die Teilhabe an der hörenden Gesellschaft. Logopäden und speziell geschulte Pädagogen betreuen Eltern und Kinder, führen unter anderem Hör- und Sprachtrainings durch und bieten weitere Hilfestellungen an, zum Beispiel bei der Auswahl von Kindergarten und Schule. Zusätzlich erhalten die Eltern Informationen über zusätzliche Geräte wie zum Beispiel FM-Anlagen, externe Mikrofone und so weiter, die mit dem Hörsystem oder Cochlea-Implantat verbunden werden können und in schwierigen Hörsituationen wie zum Beispiel in einem Klassenraum eine große Hilfe sein können.

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